2. und 3. Mai 2017, 20.00
Stadtmuseum Meran, Domplatz
Péter Nádas: Aufleuchtende Einzelheiten (Aus dem Ungarischen von Christina Virágh. Rowohlt 2017)
Er gehört zu den großen europäischen Erzählern der Gegenwart und zum ungarischen Gestirn, das mit den im vergangenen Jahr verstorbenen Imre Kertész und Péter Esterházy Weltliteratur als wunderbare Zumutung und Zeugnis schafft. In Romankonstruktionen von höchster Spannkraft leuchtet Péter Nádas die großen geschichtlichen Erfahrungen des 20. Jahrhunderts aus, genauso wie die Naherfahrungen des Einzelnen in ihrer existenziellen Dimension. Das zeigt sich u.a. in dem viel gefeierten „Buch der Erinnerung“ (1986) oder dem anderen Opus maximum „Parallelgeschichten“ (2005), wo in einer Fülle an Geschichten familiäre und europäische Schicksale verhandelt werden. Darüber hinaus macht eine große Metaebene das Thema der Körperlichkeit und Sexualität spürbar. Diese virtuose und dabei so subtile Zeichnung voll poetischer Energie hat Péter Nádas die Zuschreibung des „Mystikers alles Sinnlichen“ eingebracht. Das wäre er nicht ohne das analytische Bewusstsein, für das körperliche Erfahrungen das gesellschaftliche Ich überschreiten und weit über politische und ideologische Grenzen hinausgehen.
Nun ist der Autor, der immer wieder im Gespräch für den Nobelpreis ist, Gast der Literatur Lana – und das ist ein Ereignis. Im Palais Mamming von Meran wird er am 2. Mai aus seinen Memoiren lesen, noch bevor sie im Herbst in er Übersetzung von Christina Virágh auf Deutsch erscheinen. Ungewiss also, was sie bieten werden, kann man aber davon ausgehen, dass sie Schauplätze komplexer Erinnerung und Sehnsüchte aufsuchen und davon in kühner literarischer Kraft erzählen. Diesen letzten Meister der literarischen Moderne, abenteuerlich in der reflexiven Tiefe und im analytischen Scharfblick, begleitet der Übersetzer Laszlo Kornitzer.
Der Abend wird unterstützt von Maria Niederstätter.
Péter Nádas, 1942 in Budapest geboren, arbeitete zunächst als Fotograf und Journalist. 1968 zog er sich als freier Schriftsteller aufs Land zurück, nachdem er in seiner journalistischen Arbeit immer stärker in Konflikt mit der Zensur geriet. Sein literarisches Werk umfasst Essays, Theaterstücke und Romane. Seine Bücher beschäftigen sich vielfach mit dem kommunistischen Ungarn, in dem Bericht „Der eigene Tod“ (2002) schildert Nádas sein Erlebnis einer Nahtod-Erfahrung. Zu den bekanntesten Arbeiten im deutschsprachigen Raum zählen „Ende eines Familienromans“ (1977, dt. 1979) und das „Buch der Erinnerung“ (1986, dt. 1991), für das der Autor mehrfach ausgezeichnet wurde, u.a. 1995 mit dem Leipziger Buchpreis, dem Franz-Kafka-Literaturpreis sowie dem Verdinestkreuz der Republik Ungarn. 2014 wurde ihm der Würth-Preis für Europäische Literatur verliehen. Zu weiteren wichtigen Werken zählen „Spurensicherung“ (2007), „Die Bibel“ (1967, dt. 2009), „Parallelgeschichten“ (2005, dt. 2012).
Péter Nádas lebt als Schriftsteller und Fotograf in Gombosszeg, einem Dorf an der ungarischen Grenze zu Slowenien.
Szilárd Borbély: „Kafkas Sohn“ (Aus dem Ungarischen von Heike Flemming und Laszlo Kornitzer. Suhrkamp Verlag 2017)
Ungarn bleibt auch am 3. Mai literarischer Schwerpunkt. Im Mittelpunkt steht zuerst das Buch „Kafkas Sohn“ von Szilárd Borbély, den Imre Kertész den „vielversprechendsten und verlorensten ungarischen Dichter“ nannte. Sein Romandebüt „Die Mittellosen“, in dem Borbély in fast unheimlicher Sensibilität Verwüstung und Gewalt erspürt, blickt als hohe Kunst ergreifend in die menschlichen Niederungen.
Den nächsten Text wollte Borbély Franz Kafka widmen. Die Sammlung von Bruchstücken aus dem Nachlass bezieht ihre Intensität aus der leidenschaftlichen Suche des Autors nach sich selbst und der eigenen Stimme. Die Prosastücke sind Selbstbekenntnis und Vermächtnis in einem.
"Borbély hat eine kunstvoll kalte, in ihrer Strenge hochpoetische Sprache gefunden, um gegen das Verstummen anzuschreiben." (F.A.Z.)
Szilárd Borbély, 1964 in Fehérgyarmat im nordöstlichsten Winkel Ungarns geboren, debütierte 1988 als Lyriker und veröffentlichte rund ein Dutzend Gedicht- und Prosabände. Er war Hochschullehrer in Debrecen und übersetzte Lyrik aus dem Deutschen und Englischen, u.a. von Monika Rinck, Robert Gernhardt und Durs Grünbein. Im Februar 2014 nahm er sich das Leben.
Gespräch: "Abschied von der Vernunft"
Mit Laszlo Kornitzer, Eliza Zolnai und Tamás Dömötör
„Das ungarische Bewusstsein hat sich für den Anachronismus, die Absperrung entschieden. Im ungarischen Bewusstsein gibt es keinen Platz für Konflikte, das ungarische Bewusstsein besteht in der sakralen Selbstbestätigung – es hat sich für ein falsches Geschichtsbewusstsein, literarischen Provinzialismus und die Lüge im allgemeinen entschieden“ – schrieb Imre Kertész in seinem Tagebuch „Der Betrachter" 1994.
Heute, rund 20 Jahre später, ist es, als wolle Ungarn der Diagnose von Kertész entsprechen. Die Politik laviert zwischen bestellter Agonie und der Behauptung, sie gerade überwinden zu wollen. Einzelne Stimmen aus dieser Lage klingen wie Aufschreie und Rufe der Notwehr. Eine solche Stimme war auch die von Szilárd Borbély. An ihn und Kertész erinnert der Abend und bringt die von ihnen beschriebene Lage zur Diskussion, nämlich mit der Filmemacherin Eliza Zolnai und dem Theater- und Filmregisseur Tamás Dömötör aus der jüngeren Generation. Sie ist 25, er 42 Jahre alt. Sehen sie Perspektiven für sich, für ihre Arbeit, für das, was Geistesleben in einem geistfeindlichen Land ist? Wenn nicht, wie plant oder verplant man sein Leben in einer Zeit, in der die politische Zukunft auf 1940 fixiert wird? Was bedeutet der Verlust der stimmmächtigen Ausnahmekünstler Kertész, Borbély, Esterházy?
PROGRAMM:
2. Mai 2017, 20.00 Uhr
Palais Mamming Stadtmuseum Meran
Péter Nádas: „Aufleuchtende Einzelheiten“ (Aus dem Ungarischen von Christina Viragh, Rowohlt 2017)
Einführung: Laszlo Kornitzer
3. Mai 2017, 19.00 Uhr
Palais Mamming Stadtmuseum Meran
Szilárd Borbély: „Kafkas Sohn“ (Aus dem Ungarischen von Heike Flemming und Laszlo Kornitzer, Suhrkamp 2017)
Gespräch: „Abschied von der Vernunft“ mit Laszlo Kornitzer, Eliza Zolnai und Tamás Dömötör
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