Für Österreichs Außenminister Bruno Kreisky war das, was er 1964 mit seinem italienischen Kollegen Giuseppe Saragat für Südtirol ausgehandelt hatte, das Optimum dessen, was seiner Meinung nach herauszuholen war. Und von daher wollte er abschließen. Für den 8. Jänner 1965 berief er eine große Südtirolbesprechung nach Innsbruck ein, wo die (Süd-)Tiroler sein Verhandlungsergebnis absegnen sollten. Die lehnten allerdings ab. Für die SVP gingen die italienischen Zugeständnisse nicht weit genug, für die Nordtiroler gab es zu wenig Absicherung. Mit dieser Entscheidung zerbrach für Kreisky das manchmal nur mühsam aufrechterhaltene Klima der Zusammenarbeit mit den (Süd-)Tiroler Politikern. Als die italienische Regierung vom Innsbrucker Ergebnis unterrichtet wurde, stellte sie in Wien klar, dass sie bis zur äußersten Grenze ihrer Möglichkeiten gegangen sei. In den folgenden Wochen kam es zu mehreren Südtirolbesprechungen, in denen fast schon verzweifelt nach einer Lösung gesucht wurde und die Auseinandersetzungen mit Kreisky immer unerfreulicher wurden. Das Jahr 1966 begann mit dem 2. Sprengstoffprozess in Mailand, wo im April die Angeklagten zu insgesamt 350 Jahren Kerker verurteilt wurden. Im selben Monat sorgte noch ein anderes Ereignis in Südtirol für Aufregung. Der hochangesehene Urologe Dr. Egmont Jenny gründete eine neue Partei, die „Soziale Fortschrittspartei Südtirols“, hinter der Bruno Kreisky stand. In Wien gab es inzwischen eine ÖVP-Alleinregierung mit dem neuen Außenminister Lujo Toncic-Sorinj, der abschließen wollte, während der Terror zunahm.
Der Autor: Rolf Steininger, Dr. phil., em. ordentlicher Universitätsprofessor, 1984–2010 Leiter des Instituts für Zeitgeschichte der Universität Innsbruck; Studium der Anglistik und Geschichte in Marburg, Göttingen, München, Lancaster und Cardiff. Bis 1983 Professor an der Universität Hannover, Senior Fellow des Eisenhower Center for American Studies der University of New Orleans und Jean Monnet-Professor, Gastprofessor an den Universitäten Tel Aviv, Queensland (Australien), New Orleans, Aufenthalte als Gastwissenschaftler in Saigon, Hanoi und Kapstadt. Seit 2008 auch an der Freien Universität Bozen tätig. Zahlreiche Veröffentlichungen sowie international preisgekrönte Fernseh-, Film- und Hörfunkproduktionen. Weitere Informationen unter www.rolfsteininger.at
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In diesem Band der Akteneditionsreihe „Akten zur Südtirol-Politik 1945–1958“ wird anhand von über 300 Quellenstücken die südtirolpolitische Entwicklung vom Kriegsende bis zum Abschluss des Pariser Abkommens und seiner unmittelbaren Nachgeschichte dokumentiert. Beginnend im Sommer 1945, als der Wunsch zur Landeseinheit in Tirol bereits stark ausgeprägt war, wurden diplomatische Initiativen von Innsbruck und Wien aus gestartet, Propagandaaktionen eingeleitet, Kundgebungen organisiert und Massendemonstrationen durchgeführt. Nach Gründung der Südtiroler Volkspartei im Mai 1945, die für das Recht der Südtiroler auf Selbstbestimmung eintrat, sammelte man in Südtirol geheim Unterschriften für die Abhaltung einer Volksabstimmung. Doch gestatteten die Siegermächte des Zweiten Weltkriegs weder auf den Außenministerkonferenzen in London und Paris noch auf der Pariser Friedenskonferenz die Ausübung des Selbstbestimmungsrechts. Allzu rasch schwenkte Außenminister Gruber auf eine Kompromisslinie ein. Das vorläufige Ergebnis war keine volle Autonomie für Südtirol allein und eine erst in weiterer Folge geregelte Rücksiedlung der Südtiroler. Die überwiegend neuen Dokumente, die aus dem Österreichischen Staatsarchiv, dem Tiroler Landesarchiv und dem SVP-Parteiarchiv stammen, erhellen die Stimmungslage im nördlichen wie südlichen Landesteil und die südtirolpolitische Meinungsbildung und Entscheidungsfindung auf staatlicher, landes- und parteipolitischer Ebene. Ein ausführliches Sach- und Personenregister runden den ersten Band dieser Reihe ab.
Der Autor: Michael Gehler, geb. 1962, studierte Geschichte und Germanistik, Mag. und Dr. phil. habil., war Research Fellow des Fonds zur Förderung der wissenschaftlichen Forschung (FWF) Wien 1992–1996, außerordentlicher Professor für Neuere Geschichte und Zeitgeschichte am Institut für Zeitgeschichte der Leopold-Franzens-Universität Innsbruck 1999–2006, Alexander von Humboldt-Stipendiat 2001–2002 und Permanent Senior Fellow am Zentrum für Europäische Integrationsforschung (ZEI) der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn; assoziiertes Mitglied bei der Forschungsgruppe Europa am Kulturwissenschaftlichen Institut in Essen unter Wilfried Loth 2001–2002; Gastprofessor an den Universitäten Rostock 2004, Salzburg 2004/05 und an der KU Leuven 2005, Mitglied der Historischen Kommission der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW) in Wien; 2006 Berufung an die Stiftung Universität Hildesheim als Professor und Leiter des Instituts für Geschichte sowie Verleihung eines „Jean-Monnet Chairs“ für Europäische Geschichte durch die EU-Kommission; Mitglied des Liaison Committee/der Verbindungsgruppe der Historiker bei der EG-Kommission. Zahlreiche Publikationen zur österreichischen, deutschen und europäischen Zeitgeschichte.
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